Was viele nicht erwartet haben: Ich war lange schüchtern

Wer mich heute kennenlernt, nimmt eine Frau mittleren Alters wahr, die mit beiden Beinen im Leben steht. Eine Frau, die Selbstsicherheit ausstrahlt, schlagfertig ist, auch mal provoziert und in Konflikte geht. Das war nicht immer so. Meinen Weg beschreibe ich in diesem sehr persönlichen Beitrag.

 

Schüchternheit als Symptom geringen Selbstwertgefühls

Natürlich weiß jeder, was schüchtern bedeutet. Ich habe trotzdem im Internet nach einer Definition gesucht und bin bei Spektrum auf folgende gestoßen:

„Schüchternheit, (…), Form der sozialen Phobie. “Schüchtern" meint soviel wie "ängstlich", "scheu gemacht" und wurde ursprünglich nur im Zusammenhang mit Tieren gebraucht. Ängstlichkeit und Gehemmtheit entstehen im sozialen Umgang v.a. dann, wenn die Aufmerksamkeit anderer auf einen gerichtet ist und ist oft Symptom geringen Selbstwertgefühls.“

Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass gerade bei uns Frauen, dieses Gefühl ein großes Thema ist. Der Ausdruck mangelnden Selbstwerts kann allerdings sehr unterschiedlich sein. Während die einen versuchen, es zu überspielen, gehen die anderen in den Rückzug und zeigen sich schüchtern und vorsichtig. Bei mir war letzteres der Fall.

Heute weiß ich, wer ich bin. Kenne meine Stärken, habe Frieden geschlossen mit meinen Schwächen. Selbsterkenntnis, das regelmäßige Bewusstmachen und die authentische Verkörperung meiner Person tragen dazu bei, dass ich immer mehr zu dem Menschen werde, der ich eigentlich bin. Das ist ein Prozess. Ich darf mich (noch weiter) strecken, die Komfortzone verlassen, in der ich mich die vielen Jahre so bequem eingerichtet habe. Aber das ist es allemal wert.

Fokus auf Schwächen verstärkte negatives Selbstbild

Zurück zum Ausgangspunkt: Wie in meinen Fun Facts schon erwähnt, besuchte ich ab der 5. Klasse eine Mädchenrealschule. An dieser Realschule unterrichteten Ordensschwestern und meine Eltern und Lehrer waren überzeugt davon, dass es das passende Umfeld für meine zurückhaltende Persönlichkeit war. Mein Notendurchschnitt in den Hauptfächern war zu diesem Zeitpunkt durch die Bank gut.

Als älteste Tochter von drei Geschwistern in einem kleinen Dorf am Bodensee aufgewachsen, hatte ich eine behütete Kindheit. Ich würde meine Erziehung als streng bezeichnen. Es gab Regeln und was die Eltern sagten, wurde gemacht. Ohne Diskussion. Bei uns zu Hause herrschte die klassische Rollenverteilung: mein Vater ging morgens zur Arbeit, meine Mutter blieb zu Hause und kümmerte sich um die Kinder.

Meine Mutter hat immer wieder betont, wie wichtig Bildung sei (gerade für Frauen), sie hatte Pharmazie studiert. Möglicherweise ist das der Grund für ihre hohen Erwartungen an meine schulische Karriere. Vielleicht auch weil ich die Erstgeborene bin?

In der Grundschule hatte ich gegen Ende Schwierigkeiten in Mathematik. Ich kann mich noch gut an die 4. Klasse erinnern, wie ich zusätzliche Textaufgaben machte, meine größte Schwäche. Meine Mutter hatte sich sehr darauf fokussiert, mein mangelndes Verständnis bzw. Zahlengefühl durch Aufgaben, Wiederholung und viele Tränen auszumerzen. Was blieb ist das Gefühl, eine Mathe-Niete zu sein. Ich kam ansonsten sehr gut durch die Grundschule und wechselte auf die besagte Mädchenrealschule.

Im Nachhinein war es sicher keine schlechte Entscheidung, da ich in einem geschützten Umfeld aufwuchs, ohne Leistungsdruck. Ich konnte meine sprachlichen Fähigkeiten weiter ausbauen, zusätzlich zu Englisch noch Französisch lernen. In den naturwissenschaftlichen Fächern hatte ich wenig Schwierigkeiten, in Physik legte ich sogar meine mündliche Abschlussprüfung ab, da ich mit einem Notendurchschnitt von 1,7 kein großes Risiko eingehen musste. Ich schloss die Realschule sehr gut ab.

Nach der Realschule wechselte ich auf das Wirtschaftsgymnasium. Während mir die Wirtschaftsfächer und Sprachen keine Probleme bereiteten, merkte ich, dass ich in den naturwissenschaftlichen Fächern Lücken hatte. Sehr zum Leidwesen meiner Mutter, die das überhaupt nicht hinnehmen wollte. Noch heute zitiert sie immer wieder meinen Chemie-Lehrer mit dem Spruch: „Die Silvia ist ein nettes Mädchen, aber Chemie wird sie nie kapieren.“ Meine Mutter findet das nach wie vor lustig, mir zieht sich jedes Mal der Brustkorb zusammen.

Später dann im Studium habe ich mich dann „freigeschwommen“, schließlich hatte ich mich für meine Fächer entschieden, die ich beherrschte und die mir Spaß machten.

Suche nach Anerkennung im Außen

Im Job kamen mir wieder Selbstzweifel. Gerade als Berufsanfänger musste ich mich in der Arbeitswelt erst zurechtfinden. Ich versuchte, den Anforderungen von Vorgesetzten gerecht zu werden. Verglich meine Leistung mit der meiner KollegInnen. Mit der Zeit wurde es etwas besser.

Zwischen zwei Jobs war ich als Freelancerin tätig, auch hier habe ich mir die Konditionen diktieren, mir meinen Wert vorgeben lassen.

Bis vor einigen Jahren habe ich mich im Job nicht getraut, Forderungen zu stellen. Wer bin ich denn? Was habe ich schon zu bieten? In der Selbständigkeit dann ähnliche Gedanken: Wer soll dafür bezahlen? Bist du es wirklich wert diese Preise aufzurufen?Immer und immer wieder ähnliche Verhaltensmuster, die – rückblickend betrachtet – immer einen Ursprung haben: meine Schüchternheit, mein mangelnder Selbstwert.

Ich hatte bereits in der Kindheit „gelernt“, dass ich einige Schwächen habe, meine Leistung nicht ausreicht, um den hohen Erwartungen (meiner Mutter) gerecht zu werden.

Sehr lange Zeit habe ich Lösungen im Außen gesucht. Die Liste der Coaches und Therapeuten ist lang…

Meine Selbstsicherheit war immer abhängig von Unterstützern. Bekam ich Anerkennung von außen, war ich mir meiner Fähigkeiten bewusst. Fehlte diese jedoch, kamen Selbstzweifel hoch, fiel ich in alte Muster.

Erkenntnis: Die Lösung ist in mir

2019 begann ich mich mit der Kraft ätherischer Öle zu beschäftigen – zuerst auf körperlicher Ebene. Ich fand Zugang zur Persönlichkeitsentwicklung und fing an zu wachsen. Es war damals noch ein diffuses Gefühl.

Dann der Durchbruch: ich lernte die Human Design Methode kennen. Die Beschäftigung mit meinem Design brachte so viel Klarheit und Heilung. Ich hatte plötzlich ein Gefühl von „da ist soviel mehr, als du lebst“.

Ich erkannte, dass ich die Veranlagung für das oben geschilderte Verhalten habe. Es gibt keine Schuldigen für meine Situation. Es kamen einfach mehrere Faktoren zusammen. Für mich bedeutet es aber auch, mich nicht damit abzufinden, sondern daran zu arbeiten. Dabei sehe ich die Schüchternheit nicht als Schwäche oder Mangel, sondern einfach als Eigenschaft, die nicht zwangsläufig zu mir gehört.

Human Design hilft, Bewusstsein zu verändern

Meine Lebensaufgabe ist die Initiative. Ich bin auch hier, um andere aus der Reserve zu locken (Tor 51). Dazu braucht es Mut. Und ich habe eine Stimme, die noch lauter werden darf (definierte Kehle). Während ich mich gerne in Sicherheit wähne, suche ich gleichzeitig die Herausforderung und das Experiment. Es ist o.k. Fehler zu machen und daraus zu lernen.

Ich muss niemand etwas beweisen (undefiniertes Ego), Anerkennung kann ich mir auch selbst schenken und werde dadurch unabhängig von außen.

Ein weiteres großes Learning ist, dass ich nicht für die Emotionen anderer verantwortlich bin (undefiniertes Emotionszentrum).  

Für die Zukunft bedeutet das, dass ich mir meiner Potenziale noch stärker bewusst bin. Dass ich mein Lebenswerk und meinen Purpose lebe, meine Eigenschaften bewusst einsetzen werde, für mich, mein Umfeld und meine Kundinnen.

Kinder von Anfang an stärken

In der Erziehung meiner Kinder achte ich besonders darauf, ihre Stärken zu sehen und sie ihnen auch immer wieder bewusst zu machen. Mit meinem großen Sohn habe ich auch schon sein Human Design Chart besprochen. Meine Kinder suchen ihre Identität und ich bin froh, dass ich sie dabei unterstützen kann.

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Interview mit Nicole Krüger, Projektorin, 2/4

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12 von 12 im August 2023